Kapitel 8

Aschaffenburg, 17.03.2014

„Es wird Zeit für meine Rede.“

Federico gab Hanna einen flüchtigen Kuss auf die Wange, stand auf und schaltete das Ansteck-Mikrofon an seinem Revers ein.

Mit einem Siegeslächeln schaute er sie an, nickte geheimnisvoll und schritt majestätisch zum Podest. Lässig stieg er die vier Stufen auf die Bühne und schaute hinunter in die klatschende Menge. Er sah hinreißend aus in seinem schwarzen Maßanzug mit dunkler Fliege über dem weißen Hemd. Passend dazu trug er eine teure Uhr von Glashütte Original am Handgelenk. Er legte Wert auf Stil. Nur die beste Kleidung war gut genug für ihn. Die maßgefertigten Schuhe hatte er in Madrid gekauft. ‚Lift-Schuhe‘ mit verstecktem Plateau, die ihn größer machten, als er war. 

Bald bin ich ihn los!, dachte Hanna genervt.

Der Kameramann hatte klare Anweisung, ihn immer im Fokus zu halten. Eine große Leinwand und mehrere kleinere Bildschirme stellten sicher, dass jeder der Anwesenden ihn bewundern konnte. Wie ein König stand Federico mit erhobenem Kinn auf der Bühne und starrte in die Menge. Die lauten Unterhaltungen verstummten, 450 Menschen richteten ihren Blick erwartungsvoll auf die Bühne. Er sagte nichts, stand einfach nur da. Mit seinem abwartenden Verhalten bündelte er die Aufmerksamkeit noch stärker auf sich. Es war eine perfekt inszenierte Show und er stand im Mittelpunkt. Er liebte solche Auftritte und die Menge war fasziniert von ihm. Sie kannten ihn gut genug und wussten, dass heute Abend etwas für sie herausspringen würde. Neben den Angestellten waren auch die wichtigsten Geschäftspartner und die Presse anwesend. Das abgelaufene Geschäftsjahr war das Beste in der Firmengeschichte des italienischen Familienunternehmens. Das hatte auch damit zu tun, dass Federico seit dem Tod seines Vaters freie Hand hatte. Zu dem historischen Gewinn kam noch ein langfristiger Auftrag, der über viele Jahre ähnlich gute Gewinne erwarten ließ.

Vereinzelt war noch leises Getuschel zu hören. Mit erhobener Hand forderte der Firmenchef absolute Ruhe.

„Liebe Geschäftsfreunde, liebe Mitarbeiter …“

Der begnadete Rhetoriker sprach vom Erfolg, von der exzellenten Unternehmenskultur und er lobte herausragende Mitarbeiter. 

Hanna war nicht an der Rede interessiert. Ihre Gedanken kreisten um ein völlig anderes Thema.

Ich gehöre nicht hierher. Nicht an diesen Ort und nicht an seine Seite. Wie konnte ich es nur so lange mit ihm aushalten? Morgen werde ich es ihm sagen.

„Liebe Firmenfamilie, …“ er machte eine kurze Sprechpause. Hannas Aufmerksamkeit wurde wieder auf die Rede gelenkt.

„Ich wette … das, was Sie jetzt gleich von mir zu hören bekommen, wird Ihnen ausgesprochen gut gefallen.“

Die Mitarbeiter starrten gebahnt auf ihn. Die neugierige Erwartung im Saal war spürbar.

Federico schaltete sein Mikro am Revers aus, stieg von Podium, ging lächelnd zu Hanna und flüsterte in ihr Ohr.

„Sie lieben und vergöttern mich. Schau dir genau an, was gleich passieren wird.“

Mit dynamischen Schritten sprang er, zwei Stufen auf einmal nehmend, zurück aufs Podest und schaltete sein Mikro wieder ein. Die Stille im Saal war erdrückend.

„Aufgrund der hervorragenden Leistungen aller Beteiligten habe ich mich entschlossen …“, er lächelte sie wieder an. „… Habe ich mich entschlossen, jedem Mitarbeiter eine Prämie von eintausend Euro für jedes Jahr Betriebszugehörigkeit zu zahlen.“

Die Mitarbeiter sprangen auf und tobten vor Freude. Der Beifall wollte nicht enden. Viele Angestellte waren schon seit über 20 Jahren dabei. 

Federico wusste seine Mitarbeiter zu motivieren und er war bereit, viel dafür zu bezahlen. Hanna war beeindruckt von seiner Großzügigkeit. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass sie ihm morgen den Laufpass geben würde.

Federico verbeugte sich lächelnd vor der Belegschaft, was erneut mit tosenden Applaus quittiert wurde. Er sonnte sich in seiner Popularität. Mit wippenden Händen machte er eine beschwichtigende Geste, die Menschen setzten sich wieder.

Jeder wartete auf die Schlussworte, doch es kam etwas völlig Unerwartetes. Seine Stimme änderte sich, sie wurde weich und leise.

„Was ich jetzt zu sagen habe, hat nichts mit der Firma zu tun.“

Federicos Gesicht war in Großaufnahme auf den Leinwänden zu sehen. Hatte er etwa eine Träne im Augenwinkel? Federico war wirklich ein verdammt guter Schauspieler. 

Seine Stimme erhob sich leicht.

„Es geht um etwas, was mir persönlich sehr wichtig ist.“ 

Federicos Augen waren plötzlich auf Hanna fixiert. Ihr Magen krampfte sich zusammen.

Oh Gott! Er wird doch nicht … Nervös strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Dabei bemerkte sie, dass ihre Haare dafür eigentlich noch zu kurz waren.

Er stieg zum zweiten Mal zu ihr hinab, rückte einen Stuhl geräuschvoll zur Seite, nahm ihre Hand, wollte sie hochziehen. Hanna hielt dagegen.

„Komm schon, Schatz“, sagte er. 

„Nein. Ich will hier sitzen bleiben.“

„Keine Sorge, du kannst mir vertrauen.“

Mit beiden Händen zog er sie hoch. Hanna wusste gar nicht, dass er so kräftig war. Er führte sie aufs Podium. Um die Situation nicht noch peinlicher zu machen, lief sie widerwillig mit. Hanna kämpfte mit sich. Sollte sie sich aus seinen Griff befreien, zurücklaufen? Doch sie wollte ihn nicht erniedrigen. Warum zur Hölle hatte sie nur zugestimmt, heute Abend hier zu sein? 

Sie standen auf der Bühne, er hielt ihre Hand fest umklammert. Wie durch einen Nebel hörte sie seine Worte, die er an die Gäste richtete.

„Wie Sie ja alle wissen,“ sein Ton wieder sanft und weich, „sind Hanna und ich seit einiger Zeit ein Paar.“ Federico küsste sie auf die Stirn. Es war ganz leise im Saal.

Er zog eine kleine Schachtel aus seiner Jackentasche. Hanna spürte die Schweißtropfen auf ihrer Stirn.

Oh Gott! Lass dass bitte einen Albtraum sein.

Federico kniete vor ihr nieder und klappte die Schachtel auf. Zwei 

goldene Ringe, besetzt mit Diamanten, funkelten sie an.

„Meine geliebte Hanna, willst du meine Frau werden?“, sagte er laut ins Mikrofon. Jeder konnte es hören. 

Ihr Hals wurde trocken, sie schluckte schwer. Warum war es nur so heiß in dem Saal? 

Panisch schaute sie in die Menge. 450 erwartungsvolle Gesichter starrten sie an. Der Kameramann stand seitlich neben ihr und projizierte eine Großaufnahme von ihr und Federico auf die Leinwand. Sogar die Schweißperlen auf ihrem Gesicht waren zu sehen. Sie sah auch auf der Leinwand, wie sie schon wieder ihre imaginäre Haarsträhne hinters Ohr strich.

Zuversichtlich lächelnd kniete Federico vor ihr, nickte auffordernd mit einem Seitenblick auf die Ringe.

Er war Sizilianer. Wenn sie seinen Antrag hier vor all den Menschen ablehnte, würde sie ihn bis auf die Knochen blamieren.

Soll ich nachgeben? 

Die Gäste wurden ungeduldig, tuschelten. Federicos Gesichtsausdruck änderte sich. Die Zuversicht wurde Ärger, war da auch Wut?

 Er deckte sein Mikro mit der Hand ab. „Warum brauchst du so lange für ein Ja-Wort?“, sagte er. Sie hörte  Zorn in seiner Stimme. Etwas Bedrohliches lag in der Luft.