Kapitel 30

30
Frankfurt, 20. Mai 2014

Marius schaute sie mit verliebten Augen an. Das konnte er gut. Dummerweise wollte sie schon wieder Zärtlichkeit. Er küsste ihr runzeliges Gesicht, dass ständig mit Make-up zugekleistert war.
„Habe ich dir heute schon gesagt, dass du eine wunderbare Frau bist?“, flüsterte er in ihr Ohr. Charlotte lächelte. „Nein, aber das weiß ich ja.“
Wollüstig räkelte sie sich in dem riesigen Himmelbett. Sie liebte es, stundenlang verwöhnt zu werden. Rückenmassage, Sex, Fußmassage, Sex … Es war anstrengend, sie zu befriedigen.
„Komm tiefer, mein Lieber. Meine Muschi verlangt nach deiner Zunge.“
Im letzten Augenblick konnte Marius ein frustriertes Seufzen unterdrücken.
„Aber gerne, Schatz. Es macht mich glücklich, dich zu beglücken, because I love you.“
Er zögerte.
Wie lange soll ich mir das noch antun?
Vor knapp zehn Monaten hatte er sie kennengelernt. Die Mitgliedschaft auf der Datingsite für exklusive Partnerschaft reicher Senioren kostete 3000 Euro im Jahr, doch es war gut investiertes Geld. Marius war mit seinen 36 Jahren alles andere als ein Senior, doch auf der Plattform fand er willige und vor allem reiche Schlampen. Es war eine Marktlücke, die reichen Weiber sehnten sich nach dem Geschwafel von Liebe und nach Zärtlichkeit. Charlotte war ein Volltreffer, ein Sechser mit Zusatzzahl.
Marius liebte schlanke, große und sportliche Frauen mit kleinen Brüsten. Dummerweise war Charlotte genau das Gegenteil: klein, fett, mit riesigen Hängetitten. Und sie stank. Wenn sie ihre grauenhafte Baumwollunterhose auszog, spürte Marius regelmäßig aufkommende Übelkeit.
Leider war sie mit ihren 65 Jahren immer noch rattenscharf. Nur mit Viagra schaffte Marius es, sie zu befriedigen.
„Was ist los, mein Lieber? Keine Lust zu lecken?“
„Doch, Schatz.“ Er hasste es, wenn sie ihn so nannte. Er hasste es, wenn sie ihn braver Junge nannte, er hasste eigentlich alles an ihr. Nur ihr Geld nicht, und nicht die Geschenke.
Sie grunzte, während er sie mit der Zunge bearbeitete.
„Oh ja, … mein Lieber. Besorgs … besorgs mir.“
Der Brechreiz erwachte. Marius versuchte sich abzulenken, dachte – während er seine Zunge kreisen lies, an das Penthouse und den Porsche Panamera. Schöne Geschenke. Nein, Geschenke waren es nicht. Es war eine gerechte Entlohnung für die Schwerarbeit.
Ihr ganzes Leben lang hatte man ihr das Geld in den fetten Arsch gesteckt. Reich geboren, reich geheiratet, und als ihr Mann vor zwei Jahren bei einem Unfall mit dem Ferrari draufging, auch Erbin eines dreistelligen Millionenvermögens. Und nie musste sie auch nur einen Finger krumm machen. Bitch.
„Oh ja, oh ja. Ich … ich komme, oh, ich komme!“
Sie spritzte ab, und er musste sie nicht einmal ficken. Marius war erleichtert.
Er legte sich auf den Rücken, sie kuschelte sich an ihn. Es dauerte einige Minuten, bis sie wieder zu Atem kam. Was würde passieren, wenn sie einen Herzinfarkt erleidet?
Ich muss den Deal möglichst schnell eintüten.
„Sei ein braver Junge und massiere meine Füße. Hier ist das Öl.“ Dämlich grinsend reichte Charlotte ihm die Flasche.
„Aber gerne, mein Schatz.“
Marius träufelte Öl in seine Hand, rieb es warm und massierte ihre Füße. Sie grunzte wieder.
„Ich kann es immer noch nicht glauben“, sagte Marius, um das Gespräch in die richtige Richtung zu lenken.
„Was kannst du nicht glauben?“
„Dass du mir A.C.I. anvertraust. Das ehrt mich und ich kann es nicht erwarten, dir zu zeigen, wie gut ich die Firma führen werde.“
„Wie gut du die Firma führen wirst?“ Charlotte richtete ihren Oberkörper auf, stützte sich auf den Unterarmen ab und schaute Marius mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ihre schlaffen Titten hingen seitlich neben der fetten Wampe. Es war widerlich anzusehen.
„Was willst du tun?“, fragte sie auffordernd.
Auf diesen Moment hatte Marius gewartet. Vor Kurzem hatte Charlotte ihm Finanzanalyse und Kennzahlen des Unternehmens gegeben. Nun konnte er zeigen, was er draufhatte.
„Die vier Geschäftsführer verdienen viel zu gut, they don`t deserve it. Zudem bezahlen sie die Mitarbeiter übertariflich und ein Viertel der Belegschaft könnte sowieso entlassen werden. Ich schmeiße drei der Geschäftsführer raus, stutze die Belegschaftskosten in normale Bereiche zurück. Dadurch werde ich den Gewinn vor Steuern um geschätzte 20 % steigern. Much more profit, babe.“
„Babe?“
Marius grinste. „Yes my babe. Much more profit.“
Charlotte glotzte ihn ausdruckslos an. Bestimmt war sie tief beeindruckt von seinen Managerfähigkeiten.
„Was ist dein Job?“
„Was ist denn das für eine komische Frage?“
„Was arbeitest du? Wie verdienst du dein Geld? Los sag es mir.“
„Aber Schatz, das weißt du doch.“
„Sags mir.“
Marius schnaufte frustriert aus.
„Ich bin Kriminaloberkommissar und stellvertretender Leiter der Mordkommission K11 in Frankfurt.
„Genau. Du bist ein kleiner Kriminalbeamter, kannst vielleicht Verbrecher jagen. Doch von Unternehmensführung verstehst du absolut gar nichts.“
„Aber ich …“
„Mach dich nicht lächerlich, Marius. Du hast keine Ahnung von dem Business mit dem Industriebau. Ich habe die Geschäftsführung vor Jahren eingesetzt, als es der Firma schlecht ging. Sie haben A.C.I. zu einem hochprofitablen Unternehmen aufgebaut, haben den Umsatz vervielfacht. Sie und das Personal haben ihren Lohn mehr als verdient. Ich dachte, du hast die Zahlen gesehen.“
„Natürlich habe ich …“
„216 Arbeitsplätze sind inzwischen langfristig abgesichert und ich werde nicht zulassen, dass ein kleiner, ahnungsloser Beamter daran etwas ändert. Du bekommst die Firma nur, wenn du die Geschäftsführer ihren Job machen lässt und nicht dazwischenfunkst. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
Marius schluckte und zwang sich zu einem Lächeln.
Ich hasse sie.
„Wie du willst, mein Schatz, wie du willst.“
„Habe ich mich klar ausgedrückt?“
„Ja, mein Schatz. Du hast dich sehr klar ausgedrückt.“
Verfluchte Schlampe. Sobald ich die Firma habe, schicke ich dich zum Teufel.
Für den Augenblick musste Marius sich die Erniedrigung gefallen lassen. Doch der Preis war es wert. Als Alleineigentümer von A.C.I. würde Marius ein gemachter Mann sein. Der Notartermin war schon bestimmt. Nicht mehr lange, dann würde Marius Unternehmer sein und den demütigen Job bei der Kripo an den Nagel hängen.
„Warum massierst du meine Füße nicht mehr, mein Lieber?“
Charlotte legte sich wieder auf den Rücken. Am liebsten hätte Marius ihr die Faust ins Gesicht geschlagen. Doch er lächelte und massierte weiter. Die Demütigung musste er nicht mehr lange ertragen. Und wenn er erst Unternehmer war, würde er seinen Job als stellvertretender Leiter der Mordkommission in Frankfurt hinschmeißen. Er konnte es kaum erwarten.
„Und noch was, mein Lieber.“
„Ja?“
„Nenn mich nie mehr babe.“